Call for Papers: A Space of Violence? The Mediterranean in the Age of the World Wars

Christine Isabel Schroeder Discussion

CFP: Zeitschrift für Genozidforschung, Schwerpunktthema: „Gewaltraum“ Mittelmeer? – Strukturen, Erfahrungen und Erinnerung kollektiver Gewalt im Zeitalter der Weltkriege

Man muss Timothy Snyders These der „bloodlands“[1] nicht folgen, um die Frage nach dem Mittelmeer als „Gewaltraum“ des frühen 20. Jahrhunderts zu stellen. Als eine ganz besondere, einmalige ‚Geschichtsregion‘, die drei Kontinente – je nachdem – trenne oder vereine, ist der Mittelmeerraum spätestens seit dem 19. Jahrhundert gerade auch im deutschsprachigen Raum wissenschaftlich wie populär festgeschrieben worden, und selbst heute beginnt kaum eine Publikation über mediterrane Themen ohne diese Setzung.

Bezeichnenderweise mangelt es – ebenfalls wiederum besonders in der deutschsprachigen Forschungslandschaft – an Perspektiven, die die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts für die mediterrane Region zusammenhängend beleuchten. Dabei haben gerade die Gedenkjahre 2014/15 mit der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und an den Genozid an den Armenier*innen sowie die aktuellen politischen Debatten um Reparationszahlungen Deutschlands an Griechenland die mediterranen Dimensionen kollektiver Gewalt deutlich gemacht.

Das Beispiel Griechenland macht auch deutlich, dass selbst längst existierende Forschung zu Teilaspekten einer mediterranen Gewaltgeschichte bislang kaum wissenschaftliches Wissen in den öffentlichen Raum, ins ‚allgemeine Wissen’ der (deutschen) Gesellschaft transferieren konnte. Den Deutschen, so scheint es, bleibt das Mittelmeer entweder (in seinem nördlichen Teil) ein touristischer ‚Sehnsuchtsraum’ oder (in seinem südlichen Teil) neuerdings wieder ein Raum der Krisen und Konflikte (und zwar die ‚der Anderen’).

Wenn nun das Mediterraneum mit dem Topos eines „Gewaltraums“ zusammengedacht werden soll, geht es keineswegs darum, einen kulturell oder gar ‚natürlich’ (vor-)strukturierten ‚Raum der Gewalt’ zu postulieren und festzuschreiben. Vielmehr ist es das Anliegen, eine – auch über Jahrhunderte als solche aufgeladene – ‚Geschichtsregion’ in den Blick zu nehmen und anhand dieses Zuschnitts Strukturen kollektiver Gewalt zu untersuchen und transparent zu machen:

Es gilt, die einzelnen gewaltvollen Umwälzungen des Mittelmeerraums zwischen Kolonialismus, Weltkriegen und Dekolonisation in eine größere zusammenhängende Perspektive zu rücken, die Kontinuitäten aufzeigt und auch heutige politische und soziale Ereignisse in ihrer historischen Bedingung verortet und beleuchtet.

Diesen Fragen nach den Strukturen, Erfahrungen und Erinnerungen kollektiver Gewalt in der mediterranen Region in und zwischen den Weltkriegen ist das Themenheft der »Zeitschrift für Genozidforschung« gewidmet. Darin sollen bestehende Forschungen aus den Geschichts-,

Sozial-, Kultur- und Literaturwissenschaften resümiert, aktuelle Forschungsprojekte vorgestellt und Desiderate – insbesondere in der deutschsprachigen Forschungslandschaft – aufgezeigt werden.

Erwünscht sind Fallstudien oder systematische Beiträge u. a. aus folgenden Themenfeldern:

  • „Vergessene“ Kriege und Konflikte im Vor- und Umfeld der Weltkriege (z. B. Balkankriege, Italienisch-Türkischer Krieg, Rifkriege, Spanischer Bürgerkrieg);
  • Vergessene Zeug*innen, ungehörte Stimmen: Erfahrungen und Überlieferungen z. B. von Kolonialsoldaten in den Weltkriegen; Kriegserfahrungen der Zivilbevölkerung in den Weltkriegen (hier v. a. auch orale Traditionen); gendered experiences von kollektiver Gewalt;
  • der Völkermord an den Armenier*innen 1915/16: Ereignis, Zeugenschaft, Gedächtnis;
  • die Shoah im mediterranen Raum: Ereignis, Zeugenschaft, Gedächtnis;
  • Erinnerung und Gedächtnis an die Erfahrungen von Unterdrückung, Entrechtung, Vertreibung: Formen und Medien der Überlieferung;
  • Ort der Gewalt, Ort der Rettung: das Mittelmeer als ambivalenter Erinnerungsort (z. B. in Diasporakulturen);
  • Literarische Re-Präsentationen von mediterranen ‚Landschaften der Gewalt’ (z.B. der Schlachten am Isonzo);
  • mediterrane Topographien der Gewalt (z. B. die „foiba“) und des Widerstandes (z. B. „Maquis“);
  • Gedenkorte, ‚Erbe & Heritage‘: Fragen der Archivierung und Musealisierung, auch im Kontext von Tourismus-Management und -Marketing;
  • Re-Präsentationen kollektiver Gewalt in ‚mediterraner’ Kunst, Musik und Kultur;
  • postkoloniale Perspektiven;
  • didaktische Perspektiven zur Reflexion von Strukturen kollektiver Gewalt in Migrationsgesellschaften.

 

Neben Beiträgen aus der wissenschaftlichen Forschung sind auch Überlegungen zu möglichen oder Erfahrungsberichte zu existierenden zivilgesellschaftlichen Projekten in Kunst und Kultur, Schule, Hochschule und Erwachsenenbildung gewünscht.

Abstracts von bis zu 500 Wörtern (+ kurzen biographischen Angaben) können bis zum 15.09.2015 in elektronischer Form mit dem Betreff „Gewaltraum Mittelmeer“ eingereicht werden unter: christine.schroeder@ruhr-uni-bochum.de (Herausgeberin des Themenheftes) sowie idg@ruhr-uni-bochum.de (Redaktion der »Zeitschrift für Genozidforschung«).

Die Bekanntgabe der akzeptierten Beiträge erfolgt Ende September 2015. Die Beiträge, die eine Zahl von bis zu 80.000 Zeichen nicht überschreiten sollten, sollen bis zum 15.01.2016 vorliegen.

 

Die 1999 gegründete, halbjährlich mit einem Jahresumfang von bis zu 320 Seiten erscheinende »Zeitschrift für Genozidforschung« ist ein etabliertes Forum für die Publikation und Diskussion internationaler Forschungen zu kollektiver Gewalt, Holocaust und Genozid, ihrer Vorgeschichte, Durchführungsstrukturen sowie ihrer generationenübergreifenden Folgen. Ein besonderes Anliegen der »Zeitschrift für Genozidforschung« besteht darin, neben der Publikation von Beiträgen renommierter Forscher*innen auch avancierten Nachwuchswissenschaftler*innen die Möglichkeit zu eröffnen, Ergebnisse ihrer Forschungen zu publizieren und so neue Tendenzen der Forschung über kollektive Gewalt und Genozid zur Diskussion zu stellen.

Allgemeine Informationen für Autor*innen und eine Vorstellung der Zeitschrift sind unter der Internetadresse <http://www.ruhr-uni-bochum.de/idg/unterseiten/zfg.html> zu finden.

 

Kontakt:

Zeitschrift für Genozidforschung

Birgit Doleschal (Assistentin der Redaktion)

Ruhr-Universität Bochum

Universitätsstraße 150

D-44801 Bochum

idg@ruhr-uni-bochum.de

 

Christine Isabel Schröder (guest editor)

Zentrum für Mittelmeerstudien / Centre for Mediterranean Studies

Ruhr-Universität Bochum

Konrad-Zuse-Str. 16

D-44801 Bochum

christine.schroeder@rub.de

 

 

 

 

 

 

[1] Snyder, Timothy: Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, München: Beck 2011.

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Dear all,

Since I have been asked whether proposals in English would be accepted, too: Yes, we would take a number of contributions in English into consideration, so here comes a short summary of the Call for Articles for the special issue of the "Zeitschrift für Genozidforschung"...

  • The starting point is that, as recent public debates about German reparation payments to Greece have shown, there is not only a lack of awareness in German society, but also several gaps in German scholarship of the history of mass violence in the Mediterranean in the first half of the 20th century. There is a lack of scientific publications in German on the World Wars in the Mediterranean other than some military studies and, for example, while there is a large number of studies on the Spanish Civil War from different disciplines, you can find only few publications on the so called "small wars" before WWI and between the wars, such as the Rif Wars.
  • Accordingly, there is a lack of knowledge in German 'public knowledge' about these events, their causes and their legacies, as those events are not even re-presented in textbooks.
  • However, due to migration we find a number of different Mediterranean backgrounds in German society today that carry their pasts with them. - They might not be re-presented publicly, but they might be passed on by oral traditions, family memory etc. So we also raise the question, how the study of the violent Mediterranean past can contribute to processes of learning and integration today.
  • With this special issue we do not want to create or confirm a view of the Mediterranean as a "violent space" (Gewaltraum) as such, but we want to ask for structures and continuities of violence in this area, that (in German tradition) has been continually both imagined as 'landscape of desire' as well as re-presented as a unique 'region of history' (Geschichtsregion).
  • Therefore, we ask especially for contributions on those more neglected events, aspects or perspectives of collective violence in the Mediterranean in the age of the World Wars, and we ask for contributions that look at the legacies of these events in culture, memory, literature etc. of the societies of the Mediterranean region today.
  • We very much encourage perspectives "from below", gendered experiences, voices from civilian populations of the Mediterranean that encountered and endured oppression, collective violence and genocide.
  • Deadline for the submission of abstracts of no more than 500 words and a short CV is 15 September, 2015. Notifications will be sent by the end of September. Articles based on the selected proposals (no more than 80.000 characters) are to be submitted by 15 January, 2016, and will then undergo peer review.