CFP: Konflikte in der höfischen Literatur des 13. Jahrhunderts (30.04.2022)

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Konflikte in der höfischen Literatur des 13. Jahrhunderts
Call for Papers für das Themenheft 1/2023 der „Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes“ (MDGV)

Literarische Texte des 13. Jahrhunderts bieten quer durch alle Gattungen eine Vielzahl an konfliktgeladenen Situationen, deren Lösung bzw. Lösungsversuche zum einen auf der histoire-Ebene Figurenhandlungen bestimmen und zum anderen auf der discours-Ebene von Vermittlungsinstanzen reflektiert werden. Literarische Konflikte können dabei sowohl textintern auf der Handlungsebene als auch textextern auf einer medialen Eben zwischen Überlieferung und Rezeption verankert sein. In der germanistischen Mediävistik wurden solche Konflikte zwar immer wieder in werkspezifischen Konstellationen untersucht, aber systematische Untersuchungen zu literarischen Konflikten in intertextuellen Bezugsgeflechten oder gattungsübergreifenden Kontexten und zu deren textexterner Aushandlung stehen weitgehend noch aus.

Im europäischen Kontext kommt romanisch-deutschen Literaturbeziehungen bekanntlich eine besondere Bedeutung bei der Profilierung der höfischen Literatur zu, eine Transferbewegung, die sich auch auf die literarischen Konfliktdarstellungen ausgewirkt haben dürfte. Mit Blick auf intertextuelle Neuakzentuierungen lässt sich dies auf den Ebenen der Figurendarstellung und der Handlung näher beleuchten. Beispielsweise kann anhand Wolframs von Eschenbach „Willehalm“ im Kontrast zur altfranzösischen Chanson de geste-Tradition beobachtet werden, wie sich der von der Kreuzzugsideologie dominierte Konflikt zwischen Christen und Heiden in den Figurenkonstellationen ausdifferenziert und in besonderer Weise etwa in der Doppel-Identität der Protagonistin Arabel-Gyburc pointiert wird. Prominente Konfliktkonstellationen aus den Artusromanen von Hartmann von Aue wie Erecs verligen oder Iweins Terminversäumnis, zeichnen sich ebenfalls durch eine intertextuelle Dynamik aus. Diese entfaltet sich nicht nur in einem Spannungsverhältnis zu den Vorlagen von Chrétien de Troyes, sondern konstituiert auch innerhalb der deutschsprachigen Tradition des höfischen Romans ein Netzwerk an Bedeutungen, das verschiede Konflikte bezogen auf die mangelnde Harmonie von Minne und Ritterschaft sowie Ehe und Herrschaft werkübergreifend umkreist. Weitere gattungsspezifische Ausprägungen von Konflikten finden sich außerdem in der mittelalterlichen Lyrik oder Novellistik, die vor allem als Rollen- und Wertekonflikte inszeniert werden, die entweder in einer konkreten Konfliktsituation ausagiert oder Reflexionsinstanzen etwa einem lyrischem Ich zugeschrieben bzw. in moralisierende Textpassagen ausgelagert werden.

Textinterne Inszenierungen äußerer und innerer Konflikte (Handlungs- v. Reflexionsebene) können zudem auf vielfältige Weise mit textexternen Konflikten verschränkt sein. Nicht selten implizieren diese textexternen Konflikte literarische Reflexe auf kulturhistorisches und soziopolitisches Konfliktpotenzial, das in der Text- und Rezeptionsgeschichte weitergegeben wird. Dies gilt insbesondere in den Konfliktkonstellationen, in denen die Konfliktauflösung im Text und in der Überlieferung offen bleibt. Ein prägnantes Beispiel hierfür bietet die Überlieferung von Hartmanns von Aue „Iwein“: In der Handschrift B kniet sich Laudine, anders als in Handschrift A, am Ende des Romans vor Iwein und bittet ihn für ihr Verhalten um Vergebung. Da sowohl Handschrift A als auch Handschrift B als eigenständige Versionen des „Iwein“ gelten, hat sich dazu ein philologischer Konflikt entsponnen, ob dieser Akt der Konfliktlösung in den edierten Text aufgenommen werden soll oder nicht.

Für das Themenheft „Konflikte in der höfischen Literatur des 13. Jahrhunderts“ (MDGV 1/2023) suchen wir Beiträge, die auf eine zunehmende Systematisierung literarischer Konflikte in der höfischen Literatur zielen. Begrüßt werden literaturgeschichtliche, narratologische, rezeptionsästhetische oder semiotische Zugänge zu Konfliktdarstellungen in allen Gattungen der höfischen Literatur ebenso wie editions-, kultur- oder medienwissenschaftliche Analyseansätze. Darüber hinaus bietet es sich an, Konfliktdarstellungen in der höfischen Literatur hinsichtlich ihrer intertextuellen Verflechtung mit lateinischen oder romanischen Prätexten zu betrachten. Konkret können beispielsweise Konflikte rund um Macht und Herrschaft oder Besitz, Minne und Ehe, Glauben und Weltabsage einerseits oder Konflikte um Text und Varianz sowie um Probleme bezüglich Produktion und Rezeption mittelalterlicher Literatur andererseits im Fokus der Analysen stehen. Weitere Schwerpunktsetzungen zu Konflikten, ihren Darstellungsformen und Lösungsmöglichkeiten in der höfischen Literatur des 13. Jahrhunderts sind willkommen. Das Themenheft richtet sich bevorzugt an Nachwuchswissenschaftler:innen der germanistischen Mediävistik. Die Beiträge können gemäß der skizzierten europäischen intertextuellen Verflechtung selbstverständlich auch interdisziplinär ausgerichtet sein.

Um Zusendung von Beitragsvorschlägen mit einem Umfang von max. 500 Wörtern inkl. Kurzbiographie wird bis zum 30.04.2022 gebeten. Bitte senden Sie Ihre Vorschläge an alle drei Herausgeber:innen des Themenheftes: Prof. Dr. Andrea Sieber andrea.sieber@uni-passau.de; Dr. Roméo Kolegbe romeo.kolgebe@uni-passau.de; Dennis Korus dennins.korus@uni-passau.de.

Zum weiteren Ablauf: Bis zum 15. Mai 2022 erfolgt die Auswahl der Beiträge und die Zusage an die beteiligten Autor:innen, die am 8. September 2022 zu einem Workshop an die Universität Passau eingeladen werden. Reise- und Übernachtungskosten können voraussichtlich aus Drittmitteln finanziert werden. Der Workshop wird als Autor:innenkonferenz mit Impulsvorträgen (10 min.) und Diskussionsrunden (30 min.) zu jedem Beitrag organisiert. Voraussetzung für die Teilnahme an dem Workshop ist die fristgerechte Einsendung der ersten Manuskriptfassung bis 10. August 2022. Abgabetermin für die auf der Basis der Workshop-Diskussionen und der Rückmeldungen der Herausgeber:innen überarbeiteten Beiträge ist der 15. November 2022. Der Redaktionsprozess zum Themenheft muss spätestens Ende des Jahres abgeschlossen sein, damit das Themenheft fristgerecht im März 2023 erscheinen kann.


Redaktion: Constanze Baum – Lukas Büsse – Mark-Georg Dehrmann – Nils Gelker – Markus Malo – Alexander Nebrig – Johannes Schmidt

Diese Ankündigung wurde von H-GERMANISTIK [Nils Gelker] betreut – editorial-germanistik@mail.h-net.msu.edu