Die in ihren historischen Ausprägungen so facettenreichen Figurationen des Heldentums lassen sich immer wieder auf die brüchige Unterscheidung von Fiktion und Realität engführen. Gemeinsamer Nenner für Held oder Heldin sind die außergewöhnliche Tat oder Fähigkeit. Und das Außergewöhnliche oder auch Außerordentliche hat immer schon mit einem Bein im Reich der Fiktion gestanden. Das gilt für die Helden der klassischen Mythologie wie auch für die der germanischen Sagen. Aber immer steht die außergewöhnliche Tat dort auch als exemplum, um für das wahre Leben Orientierungshilfen durchzuspielen.
Die Moderne hat es sich dann vielleicht zu einfach gemacht, wenn sie schlicht alle zentralen Figuren einer »dichterischen« Narration als literarische Helden apostrophiert hat, wie auch umgekehrt in realpolitischen Kontexten die Helden wie Unkraut aus dem Boden geschossen sind: vom Helden der Arbeit im Sozialismus zum bürgerlichen Helden, von klangvollen Antihelden zu anonymen und namenlosen Alltagshelden oder Superhelden mit unmenschlicher Namengebung. Zwei im Jahre 1977 produzierte Hymnen zwischen Pop und Punk bringen das Alles-oder-Nichts des Heldentums auf den Punkt: David Bowies We can be heroes, Just for one day und The Stranglers’ No more heroes anymore.
Dabei nimmt das moderne Heldentum bereits mit den Debatten um 1600 Fahrt auf: Zwischen Poetik und allgemeiner Anthropologie forcieren Texte von Giordano Brunos Die heroischen Leidenschaften (1585) über Philip Sidneys An Apology for Poetry (1595) zu Balthasar Gracián Der Held (1637) den Individuationsgedanken im Kontext der Debatten um Poetik und Fiktionalität.
Um 1800 steht der Held der Moderne dann komplett ausstaffiert, aber allein auf weiter Flur. Kleist warnt noch vor dem Kurzschluss, die lebens- und realitätsferne Konstruktion des »idealischen« Helden mit dem Dichter zu verwechseln, denn verlangte man solch ein Heldentum von Dichtern, wäre dies ihr Ende. Im Gegenzug können sich Hegels Bildungs- und Romanhelden an der Gesellschaft nur noch die »Hörner abstoßen«, bevor sie bis zur Unkenntlichkeit integriert werden.
Im 20. Jahrhundert gesellen sich Filmhelden und -heroinnen hinzu, und die Warnung Kleists scheint vergessen, das Heldentum im Bereich der Fiktion zu belassen. Die Filmindustrie umgeht die Abstraktionsvorlage der Literatur und tendiert dazu, den Filmstar mit dem dargestellten Helden zu identifizieren. Im undifferenzierten Medienzauber des Nationalsozialismus wird das Konzept des Helden dann vollends zur ideologisch-politischen Waffe. Die Schwarz-Weiß-Sicht des Faschismus macht jedes Opfer des Ersten Weltkriegs zum Märtyrer und Helden für die neue Sache, und der ab 1922 begangene Volkstrauertag wird 1934 als Heldengedenktag wichtiger Bezugspunkt für die Mythologisierungsbestrebungen der Nazis. Nach 1945 scheint den Deutschen der Appetit auf Helden gründlich vergangen und der Held von gestern wird, frei nach Fritz Bauer, der Verbrecher von heute. Heiner Müller desavouiert die vermeintlichen Helden in seiner Erzählung »Das Eiserne Kreuz« (1956) und Brechts Galilei (U 1943) stöhnt nach seinem erzwungenen Widerruf »Unglücklich das Land, das Helden nötig hat«; ein Ausruf, der sich besonders gut auf die Stimmung im Nachkriegsdeutschland lesen lässt. In den folgenden Jahrzehnten führt der Kalte Krieg dazu, dass bei der Darstellung von literarischen und filmischen Helden und Heldinnen in beiden Teilen des geteilten Deutschlands unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden: Im Westen sind die männlichen Romanhelden nurmehr als tragikomische Figuren mit banalen Berufen (Martin Walser) denkbar, während im Osten das Heldentum in weiblicher Figuration (siehe Christa Wolf und Irmtraud Morgner) oder als Held der Arbeit sein Auferstehen feiert. Parallel dazu leistet der Feminismus in Ost wie West einen wichtigen Beitrag zur gründlichen Demontage des männlichen Helden und zum ›Gendering‹ des Heldentums.
Wenn also das 20. Jahrhundert besonders auch das Jahrhundert der Statistik war, wie Walter Benjamin angedeutet hatte, und das 21. Jahrhundert wie bisher ›Big Data‹ auf seine Fahnen schreibt, stellt sich die Frage, was das Heldentum überhaupt noch taugt? Zu allem und zugleich zu nichts mehr? Seine Stellung ist in unserer Zeit so prekär wie die des Individuums selbst. Braucht die moderne Massengesellschaft, das Gedränge der virtuellen Welten, keine Helden mehr? Gibt es Angebote aus den Filiationen der Kultur, die sich dem entgegenstemmen? Wie greift beispielsweise die Welt der heute so populären Cartoon- und Serienhelden auf den literarischen Heldendiskurs zu? Welche klassischen Helden und Heldinnen können heute wiederbelebt werden oder welche Heldenrolle wäre heute neu zu schreiben? Sind wir gar vom postheroischen Zeitalter schon wieder in ein post-postheroisches Zeitalter gewechselt? Gibt es spezifisch deutsche Heldendiskurse, die dem allgemeinen Trend im Westen Impulse verliehen haben? Fragen über Fragen, denen nachzugehen sich Limbus für den 16. Band vorgenommen hat.
Eingeladen sind für diesen Band Beiträge, die das Thema ›Helden‹ in literatur-, medien- oder kulturhistorischen Zusammenhängen analysieren und so einem weiten, durchaus kontroversen Feld neue Facetten hinzufügen können.
Beitragsvorschläge werden bis zum 15. März 2022 an die unten genannten E-Mail-Adressen erbeten.
Die Herausgeber / The Editors
E-Mail Adressen:
franz-josef.deiters@sydney.edu.au
axel.fliethmann@monash.edu
lewisa@unimelb.edu.au
christiane.weller@monash.edu
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Redaktion: Constanze Baum – Lukas Büsse – Mark-Georg Dehrmann – Nils Gelker – Markus Malo – Alexander Nebrig – Johannes Schmidt
Diese Ankündigung wurde von H-GERMANISTIK [Constanze Baum] betreut – editorial-germanistik@mail.h-net.msu.edu
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