Vermischte Empfindungen sind in Bezug auf die Kultur kapitalistischer Überflussgesellschaften so etwas wie der emotionale Grundzustand: Reich wie nie, scheint man zugleich traurig wie nie, kreativ und frei wie nie, scheint man zugleich erschöpft und von Alltagsroutinen aufgezehrt wie nie. Vermischte Empfindungen sind aber kein bloß emotional irgendwie plausibler Zustand, sie sind im Bereich der Ästhetik seit jeher so etwas wie das Denklabor jener nicht mehr bloß schönen Künste. So liefern im 18. Jahrhundert das Erhabene und das Elegische mit ihrer charakteristischen Mixtur aus Angst bzw. Trauer und Lust die ästhetische Matrix für zwiespältige Erfahrungen, die sich bei Friedrich Schlegel mit Kategorien wie ‚frappant‘, ‚piquant‘ und insbesondere ‚interessant‘ vor dem alltagskulturellen Hintergrund der Mode und der Masse fortschreiben. Im 20. Jahrhundert und insbesondere in der Gegenwartskultur treffen wir geradezu auf eine Inflation solcher Konzepte. In den 1950er Jahren von der ordinary language philosophy bei John L. Austin oder Frank Sibley aufgeworfene ästhetische Kategorien wie ‚dainty‘ oder ‚dumpy‘ erhalten in der zwischen greller Popkultur und ästhetizistischer Verfeinerung schillernden Camp-Ästhetik Susan Sontags ihre ästhetizistische Überhöhung. Auch die von Camp noch als flach und wenig differenziert beargwöhnte Pop-Ästhetik ist in ihren ästhetischen Epitheta „Popular, Transient, Expendable, Low cost, Mass produced, Young, Witty, Sexy, Gimmicky, Glamorous, Big business“ (R. Hamilton) von grundsätzlicher Ambivalenz gekennzeichnet. Für die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Sianne Ngai stellen gegenwärtig ‚zany‘, ‚cute‘ und ‚interesting‘ die zentralen ästhetischen Kategorien dar, mit denen sich das Gesellschaftliche weit schärfer erfassen lasse als mit dem Schönen oder Erhabenen.
Anhand des Konzepts der vermischten Empfindungen fragt der Workshop also nach dem gegenwärtigen Stellenwert des Ästhetischen, nach dessen Aufschlusskraft, die sich nicht einfach in autonomieästhetischen Routinen beruhigt, sowie nach der Bedeutung ästhetischer Tradition für das Verständnis gegenwärtiger, von der Alltagskultur geprägter vermischter Empfindungen und ihrer Kategorien.
Die Veranstaltung ist Teil des Verbundprojekts Gegenwartsästhetik – Kategorien für eine Kunst und Natur in der Entfremdung (VolkswagenStiftung). Der Workshop ist öffentlich, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Organisation: Heinz Drügh (Frankfurt a.M.) / Marvin Baudisch (Frankfurt a.M.)
Programm
Dienstag 08.10.2019
12:30 Uhr Prof. Dr. Heinz Drügh (Goethe Universität Frankfurt): Begrüßung und Einleitung
13:00 Uhr Dr. Innokentij Kreknin (TU Dortmund): Post-Popliteratur
15:00 Uhr Kaffeepause
15:30 Uhr Dr. Jochen Venus (Universität Siegen): ‚Cool‘ als ästhetische Kategorie
17:30 Uhr Pause
18:00 Uhr Dr. Eckhart Nickel: Hysteria (Lesung & Diskussion) – Moderation: Prof. Dr. Maren Lickhardt (Universität Innsbruck)
Mittwoch 09.10.2019
10:00 Uhr Marvin Baudisch (Goethe Universität Frankfurt): Vorstellung und Diskussion des Promotionsprojekts: Zur Ästhetik vermischter Empfindungen in der Gegenwartsliteratur – Response: PD Dr. Jörg Schuster (Goethe Universität Frankfurt)
Ort:
Goethe-Universität
Raum IG 1.411
Norbert-Wollheim-Platz 1
60323 Frankfurt am Main
Kontakt: marvin.baudisch@googlemail.com
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