KONF: Formen des Politischen. Diderots Virtuosität und ihre Rezeption im deutschsprachigen Raum (1746-2016), Luzern (06.-08.10.2016)

Susanne Schmieden Discussion

Denis Diderots Entwicklung als Schriftsteller ist geprägt von einer permanenten formalen Überbietung. Diese unablässige Suche nach immer wieder neuen Schreibweisen ist nicht nur Ausdruck einer beeindruckenden ästhetischen Raffinesse, sondern auch ein konstitutives Element seiner zum Teil dezidiert politischen Anliegen. Der verbreiteten Tendenz etwa, Komplexität zu reduzieren, anstatt sie anzuerkennen, wirkt Diderot buchstäblich mit allen verfügbaren sprachlichen Mitteln entgegen. Ebenso deutlich steht das virtuose Spiel mit Formen bei ihm im Dienst der Einsicht in epistemische Grenzen. Und nicht zuletzt kann die unübersehbare Inszenierung von Sprachmaterial als eine konsequente Parteinahme für die materiellen Bedingungen des Bewusstseins und des Erkenntnisprozesses ausgewiesen werden.

Es ist heute unbestritten, dass Diderot innerhalb der Philosophie der Aufklärung eine wichtige Position zukommt. Unangefochten ist seine Bedeutung als Enzyklopädist, als Erkenntnistheoretiker oder Metaphysikkritiker. Kontroverser fällt hingegen das Urteil über seine Bedeutung als politischer Denker aus, und selten wurde sein Beitrag zur politischen Philosophie – jenseits der Frage nach Konzepten und Programmen – über seinen Stil und sein gekonntes Spiel mit verschiedenen Textgattungen fokussiert. Macht man sich aber auf der Ebene der Form auf die Suche nach dem Politischen, kommen unweigerlich auch Diderots im engeren Sinne literarische Werke in den Blick, die in der Forschung zum Philosophen Diderot oft vernachlässigt wurden. Das heisst, die herkömmlichen Grenzen zwischen Philosophie und Literatur müssen überschritten werden.

Genau das soll in der geplanten Tagung versucht werden, wobei ein besonderes Augenmerk der Rezeption von Diderots politischen Schreibweisen im deutschen Sprachraum gelten soll; jener Rezeption, die 1746 mit dem Skandal der Pensées philosophiques begann, im 18., 19. und 20. Jahrhundert verschiedene Konjunkturen erlebte und bis in die Gegenwart des Jahres 2016 andauert: Diderot ist ein zentraler Akteur im Projekt der Moderne und „ein Kompagnon des 21. Jahrhunderts“ (Michel Delon).

Vor diesem Hintergrund ergeben sich (unter anderen) die folgenden Fragen, die unter verschiedenen Perspektiven beleuchtet und diskutiert werden sollen: Wie verhalten sich Form und Inhalt, Ausdruck und Aussage zueinander? Wie findet in den vielfältigen Schreibweisen Diderots ein Anliegen Ausdruck, das sich nicht anders vermitteln lässt als eben durch die verwendeten sprachlichen und literarischen Mittel? Wie wurde die politische Semantik der Diderot’schen Formensprache in den vergangenen 250 Jahren im deutschen Sprachraum (produktiv) rezipiert? Welche Vorstellung von Subjekt, Freiheit und Demokratie werden im Stil Diderots – und demjenigen seiner „Nachfahren“ im Projekt der Moderne – vorgeschlagen und umgesetzt?

 

Programm                                                                                                                          Raum 3.B58

 

Donnerstag, 6. Oktober 2016                                                                     

 

15.15-16.00    Christine Abbt (Luzern) und Peter Schnyder (Neuchâtel)

                          Begrüssung und Einführung

 

16.00-17.00    Laure Spaltenstein (Luzern)

                          Resonanz und Polyphonie im Stil Diderots

 

Kaffeepause

 

17.30-18.30    Alexander Becker (Marburg)

Naturforschung ohne System? Zur Gestaltung von Diderots naturwissenschaftlichen        Schriften

 

Freitag, 7. Oktober 2016

 

9.00-10.00      Anne Saada (Paris)

                          Histoires croisées: Diderot en France et en Allemagne aux XVIIIe et XIXe siècles

 

Kaffeepause

 

10.30-11.30    Hans-Georg von Arburg (Lausanne)

Diplomatischer Text, politische Noten. Goethes Arbeit an Diderots Stil in Rameau’s Neffe (1805)

 

11.30-12.30    Boris Previšić (Luzern)

Von den Taubstummen zum Laokoon. Harmonie und Melodie in Wahrnehmungs- und  Produktionsmodellen der späten Aufklärung

 

Mittagessen

 

14.00-15.00    Beate Hochholdinger-Reiterer (Bern)

„So redet ein Franzose!“ Lessings Diderot-Übersetzung als theaterpolitisches Statement

 

15.00-16.00    Susanne Schmieden (Luzern)

                         Brechts Diderot-Gesellschaft als theatralische Enzyklopädie der Moderne

 

Kaffeepause

 

16.30-17.30    Heidi Denzel de Tirado (Atlanta)     

                         Politische Parabeln mit Diderot als Hauptfigur: Hans Magnus Enzensbergers Radio-Interview Diderot und das dunkle Ei und Leopold Sacher-Masochs Polit-Allegorie Diderot in Sankt Petersburg

 

Samstag, 8. Oktober 2016

 

9.00-10.00      Urs Marti-Brander (Zürich)

                  Das Individuum, sein Potential und seine Gefährdung bei Diderot und Marx

 

Kaffeepause

 

10.30-11.30    Christine Weder (Genf)

                       „Comment s’étaient-ils rencontrés?“ – „Was hielt sie zusammen?“ Zur Ästhetik und Politik der Frage bei Denis Diderot und Volker Braun

 

11.30-12.30    Julia Christ (Frankfurt am Main)

                          Adorno und die politischen Schreibweisen der Enzyklopädie

 

 

Kontakt:

 

Prof. Dr. Christine Abbt / Susanne Schmieden M.A.

SNF-Förderungsprofessur für Philosophie

Universität Luzern

Frohburgstrasse 3

6002 Luzern

https://www.unilu.ch/fileadmin/fakultaeten/ksf/institute/philsem/PDFs/Tagung_FdP_Flyer_03.pdf

 

Diese Ankündigung wurde von H-GERMANISTIK [Alexander Nebrig] betreut – editorial-germanistik@mail.h-net.msu.edu