CFP: Johann Arnold Kanne (1773-1824): Literat und Soldat, Philologe und Mythologe, Orientalist und Christ, Bamberg (15.03.2023)

Jonas Meurer's picture

Einig waren sich die Zeitgenossen in ihrer Einschätzung Johann Arnold Kannes (1773-1824) nicht: Der Nobilitierung als „vielleicht tiefster Sprachforscher, der gelebt hat“ (August von Platen), als „genialer Altherthumsforscher“ (F. W. J. Schelling) mit „außerordentlichen Schreibkräften“ (Jean Paul) steht der Unmut oder Spott gegenüber, den „Kannes Idioticon Babel“ (J. W. Goethe), seine „erbärmlichen Wische“ (Caroline Herder) und später vor allem seine „religiöse Schwärmerei“ (Therese Huber), ja sein „Überchristentum“ (Jean Paul) erregten. Kannes Werk setzte mit philologischen und mythologischen Publikationen im Kontext seines Studiums bei Christian Gottlob Heyne in Göttingen ein, gefolgt von humoristisch-spöttischer Erzählprosa und Dramatik (Blätter von Aleph bis Kuph; 1801; Blepsidemus oder Nikolaus litterarischer Liebesbrief, 1802; Kleine Handreise, 1803), klar an Jean Paul orientiert, der ihn zeitweise förderte. Die Monographie Über die Verwandtschaft der griechischen und teutschen Sprache (1804) bildete dann den Auftakt für eine Reihe von Abhandlungen, die der Methodologie und Wissensordnung der spekulativ-‚ganzheitlichen‘ romantischen Sprachphilosophie, Etymologie und Mythosforschung verpflichtet waren, darunter Erste Urkunden der Geschichte (1808), Pantheum der Aeltesten Naturphilosophie (1811) oder System der indischen Mythe (1813). Diese prägten u.a. den jungen Jacob Grimm und beeinflussten E.T.A. Hoffmanns Arbeit am Goldnen Topf. Parallel dazu fand das im engeren Sinne literarische Werk eine Fortsetzung (Gianetta, das Wundermädchen Roms, 1809; Geschichte des Zwillings a pede, 1811; Lappalien und gekrönte Preisschriften, 1814). In diesen Jahren führte Kanne ein unstetes und ökonomisch prekäres Leben, schloss sich mehrmals dem preußischen und österreichischen Heer an und geriet in Kriegsgefangenschaft. Durch Vermittlung Jacobis erhielt er 1809 eine Anstellung am neugründeten Realinstitut in Nürnberg, als Kollege u.a. Gotthilf Heinrich Schuberts. 1818 wurde er auf eine Professur für orientalische Sprachen in Erlangen berufen – trotz seiner grundsätzlichen Entfremdung vom Wissenschaftsbetrieb in Folge eines Erweckungserlebnisses Ende 1814. Der publizistische Schwerpunkt Kannes lag seitdem auf christlichen Traktaten, Erbauungsliteratur und der Herausgabe neupietistischer Sammelbiographien.

Kannes heterogenes und undiszipliniert anmutendes Werk wurde nicht kanonisiert. In Spezialdiskursen geriet der „Teufelskerl“ (Clemens Brentano) nach seinem Tod zwar nicht in Vergessenheit, doch sonst erinnerte man sich nur hin und wieder an den „sonderbaren Mann“ (Carl Schmitt) mit seiner „abenteuerlichen Biographie“ (Wilhelm Lehmann). Ein Beispiel stellt Karen Duves dokufiktionaler Roman Fräulein Nettes kurzer Sommer (2018) dar, in dem es in einem Gespräch Annette von Droste-Hülshoffs mit August von Arnswaldt heißt:

„Und es interessiert Sie gar nicht, was an neuen Romanen erscheint?“
„Nun, ich kenne natürlich die Wichtigsten, den Heinrich von Ofterdingen, Tiecks Kaiser Oktavian, und Arnims Kronenwächter haben mir durchaus gefallen, aber dazwischen empfinde ich einen großen Überdruss – schon länger übrigens. […] Wenn überhaupt, dann lese ich alte Minnelieder und Mystiker. Aber in letzter Zeit ertrage ich eigentlich nur noch Erweckungsliteratur.“
Annette schwieg beeindruckt.
„Kennen Sie Kanne?“, fuhr er fort. „Kanne ist wie Medizin für mich.“
Arnswaldts Augen waren plötzlich weit und groß und es war, als würde hinter jedem eine Kerze brennen.
„Kanne – wie Kaffeekanne. Sie müssen ihn lesen!“

Im Sinne des letzten Satzes ist es das Ziel der Tagung, Kanne überhaupt oder neu zu lesen, eine erste allgemeine Bestandsaufnahme vorzunehmen und auf Kannes kulturhistorische Bedeutung aufmerksam zu machen. Im Anschluss an die bisherige Forschung – allen voran die einzig vorliegende, schmale Biographie Erich Neumanns (1927), Hans Dieters Schreys (1969) Monographie zu Kannes Mythoskonzeption(en), Stefan Willers (1999, 2000, 2003, 2004, 2012) umfassende Arbeiten zu seinem „furor etymologicus“ und schließlich Studien, in denen Kannes Rolle im Neupietismus (vgl. Hirzel 1998, Schnurr 2011, Schrader 2019) und generell in der Theologie (vgl. Benes 2022) des frühen 19. Jahrhunderts thematisiert wird – und mit dem Ziel, diese zu ergänzen und systematisch zu erweitern, sind folgende Vorschläge willkommen:

  • Zugriffe mit explizitem methodischem – etwa diskursanalytischem, wissenspoetologischem, autorschafts-, gattungs-, gender-, materialitäts- oder praxistheoretischem – Schwerpunkt;
  • Analysen spezifischer ästhetischer oder argumentativer Verfahren Kannes mit Blick auf etwaige Kontinuitäten innerhalb des Werks;
  • ‚close readings‘ von einzelnen im engeren Sinne literarischen Texten, die wissenschaftliche terra incognita sind;
  • Rekonstruktionen von Beziehungen Kannes zu individuellen und institutionellen Akteuren des literarischen, religiösen und wissenschaftlichen Felds des frühen 19. Jahrhunderts;
  • Beiträge zur Rezeption Kannes zum Beispiel in ‚klassisch-romantischen‘ Korrespondenznetzwerken oder in der zeitgenössischen Literaturkritik, die in Ein Recensent und noch einer (1820) zum Thema avanciert, zum Einfluss seiner akademischen Lehre oder missionarischen Ambitionen, sowie zur ausgebliebenen Kanonisierung;
  • Ergebnisse von Archivrecherchen angesichts der dürftigen Überlieferungssituation abseits der Publikationen zu Lebzeiten.

Der Aufruf richtet sich an Forschende aller Qualifikationsstufen und aller kulturwissenschaftlichen Disziplinen. Die Kosten für Reise und Unterkunft werden – vorbehaltlich der Finanzierungszusage – übernommen. Für den Tagungsband sollen die Beiträge bis Ende März 2024 vorliegen, sie sind dann nach einer Rückmeldung und der Möglichkeit zur Überarbeitung bis Ende Juni zu finalisieren, damit die Publikation rechtzeitig zum 200. Todestag Kannes am 17. Dezember 2024 vorliegen kann.

Bitte senden Sie bei Interesse an einem maximal 30-minütigen Vortrag ein Exposé im Umgang von etwa 300 Wörtern sowie knappe bio-bibliografische Angaben bis zum 15. März 2023 an: jonas.meurer@uni-bamberg.de

Die bis dato ausführlichste Bibliographie der Publikationen Kannes sowie eine Auswahlbibliographie zu Rezeption und Forschung ist auf der Tagungshomepage einsehbar: https://www.uni-bamberg.de/germ-lit1/forschung/johann-arnold-kanne/

 

________________________________________________________________________________________________________________

Redaktion: Constanze Baum – Lukas Büsse – Mark-Georg Dehrmann – Nils Gelker – Markus Malo – Alexander Nebrig – Johannes Schmidt

Diese Ankündigung wurde von H-GERMANISTIK [Constanze Baum] betreut – editorial-germanistik@mail.h-net.msu.edu