ANK: Workshop ›Herkünfte‹ erzählen. Darstellungsverfahren und Verflechtungsästhetiken von Interkulturalität und Intersektionalität in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur, Freiburg (01.-03.12.2022)
Workshop: ›Herkünfte‹ erzählen.
Darstellungsverfahren und Verflechtungsästhetiken von Interkulturalität und Intersektionalität
in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur
Freiburg (01.-03.12.2022)
Organisation: Reto Rössler und Dominik Zink
Veranstaltungsort: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg | Literaturhaus Freiburg
Gefördert durch die Brandes-Gesellschaft für Literaturvermittlung und Kulturtransfer
Workshopkonzept:
Von Herkunft, von Herkünften zu erzählen, heißt jenen Erfahrungen des sozialen Selbst einen Raum zu geben, die aus dem Erzählmusterbestand der Homogenisierung und Normierung spätmoderner Gesellschaften herausgefallen sind. Herkunftserzählungen handeln nicht von ersten Anfängen, sie liefern keine Letztbegründungen. Ihr Anliegen reduziert weder auf die Rekonstruktion jenes Milieus, aus dem ›man kommt‹ noch münden sie – wie im klassischen Bildungsroman – in Schemata des Sich-Entwickelns, die Vorstellung ein ›Anderer‹ zu werden. ›Herkunft‹ im Gegenwartsroman adressiert stattdessen die Frage nach dem diskursiven und sozialen Rahmen, der die Individuen ›stellt‹, aber ebenso (dies trennt ihn vom naturalistischen Roman) nach Möglichkeiten eines anderen Rahmens, einer anderen sozialen Ordnung und/oder Lebenszusammenhangs.
In literarischen Texten spielt ›Herkunft‹ dabei auf verschiedenen Darstellungsebenen eine Rolle. So scheint zum Beispiel die determinierende Kraft der Herkunft nur darstellbar, verständlich und erkennbar durch ein (gebrochenes) Loslösen oder Befreien von ihr, was in narrativen Texten oft durch Reisen an den Ort der Herkunft verhandelt wird, die mit der Erinnerung an das Verlassen dieser Orte gekreuzt werden. In autofiktionalen Texten stellt sich durch den Versuch der Abkehr vom Herkunftsmilieu die Frage, wen die Texte als ihre impliziten Leser:innen konstruieren möchten. Richten sie sich an ein lesendes bildungsbürgerliches Milieu oder sprechen sie zu den Menschen ähnlicher Herkunft?
Wird Herkunft in dieser Weise als entscheidende Determinante des Selbstkonzepts untersucht, ist andererseits sehr häufig eine Dekonstruktion essentialistischer Vorstellungen ein (auch politisches, aktivistisches) Anliegen der Texte. So beschreibt Herkunft ein Spannungsverhältnis zwischen Faktizität und Freiheit, das nicht selten auf einer formalen Ebene, z.B. durch unzuverlässiges oder magisch-realistisches Erzählen, Fragmentierung, Episodizität des Textes ihren Niederschlag findet. Gerade das politische Anliegen ist auch Grund, weswegen viele Autor:innen auch als Aktivist:innen oder Journalist:innen arbeiten oder anders als Kulturschaffende Einfluss auf gesellschaftliche Dynamiken zu nehmen versuchen. So reflektieren viele der Protagonist:innen auch immer ihre eigenen Rolle im literarischen Feld und in der politischen Öffentlichkeit. ›Herkunft‹ wird demnach in verschiedensten Gattungen und Diskursen diskutiert und untersucht, was auf der Seite der analysierenden Literatur- und Kulturwissenschaft eine Methodenpluralismus und einen sehr weiten Literaturbegriff für die Analyse erfordert.
Programm
Donnerstag, 01. Dezember 2022
19:30–21:00 Uhr | Literarische Abendlesung im Literaturhaus Freiburg (open to public)
Martin Kordić – Jahre mit Marta (Roman 2022) und Daniela Dröscher – Lügen über meine Mutter (Roman 2022)
Freitag, 02. Dezember 2022
9:00−9:15 Uhr | Reto Rössler (Flensburg) & Dominik Zink (Freiburg) – Herkunft & Herkünfte zur Einführung
9:15−10:00 Uhr | Franziska Bergmann (Aarhus) − Suleikas Herkunft. Raoul Schrotts kritische Umschrift von Goethes „West-östlichem Divan“ (2020)
10:00−10:45 Uhr | Carolin Amlinger (Basel) – Aufenthalte kurzer Dauer. Zum Paradox distanzierter Nähe (Bourdieu, Eribon, Ohde, Güngör)
Pause
11:00−11:45 Uhr | Paul Gruber (Flensburg) − „Selbstbewusstsein vs. Fremdbestimmung“ – Saša Stanišićs „Herkunft“ als (selbst-)bewusster Gegenentwurf zu nationalistischen Identitätserzählungen (2019)
11:45−12:30 Uhr | Lena Wetenkamp (Trier) − Herkunft adressieren: Gender, Postmemory und epistolare Verfahren in Werken postsowjetischer Autorinnen (2014 ff.)
Pause
14:00−14:45 Uhr | Dariya Manova (Wien) − Heimkehr und Fremdkehr in Deniz Ohdes „Streulicht“ (2020) und Fatma Aydemirs „Dschinns“ (2022)
14:45−15:30 Uhr | Iulia-Karin Patrut (Flensburg) – Ästhetische Verdichtungen der Verflechtung von Herkunft und Interkulturalität in Herta Müllers „Der Beamte sagte“ (2021)
Pause
16:00−16:45 Uhr | Hannah Speicher (Hannover) – Klassenaufstiege und Herkunftsdramen in den (freien) darstellenden Künsten
16:45−17:30 Uhr | Nikola Keller (Freiburg) – Zum Funktionswandel von Herkunftserzählungen in der Abolitionsdramatik der 18. und des 21. Jahrhunderts
Pause
17:45–18:30 Uhr | Eva Blome (Hamburg) – Zuhören und Zugehörigkeit. Deniz Ohdes „Streulicht“ und Dilek Güngörs „Vater und ich“
Pause
19:00−20:30 Uhr | Literarische Abendlesungen im Literaturhaus Freiburg (open to public)
Christian Baron – Ein Mann seiner Klasse (Roman 2020) und Schön ist die Nacht (Roman 2022)
Samstag, 03. Dezember 2022
9:00−9:45 Uhr | Isabelle Chaplot (Flensburg) − Wild, Wild West in Bulgarien. Zu Vagheit und Negation von ‚Herkunft‘ in Valeska Grisebachs „Western“ (2017)
9:45−10:30 Uhr | Matthias Bauer (Flensburg) − Herkunft und Stigma-Management. Überlegungen zu einem biografischen Handicap
10:30−11:15 Uhr | Nadjib Sadikou (Flensburg) − Herkunft und Klasse am Beispiel von Abbas Khiders Roman „Der falsche Inder“ (2008) und „Der Erinnerungsfälscher“ (2022)
11:15−12:00 Uhr | Abschlussdiskussion
Interessierte Teilnehmer*innen sind willkommen. Um eine Voranmeldung (dominik.zink@germanistik.uni-freiburg.de) wird aus organisatorischen Gründen gebeten.
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Redaktion: Constanze Baum – Lukas Büsse – Mark-Georg Dehrmann – Nils Gelker – Markus Malo – Alexander Nebrig – Johannes Schmidt
Diese Ankündigung wurde von H-GERMANISTIK [Lukas Büsse] betreut – editorial-germanistik@mail.h-net.msu.edu
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