KONF: Performanzen digitaler Autor:innenschaft. Praktiken und Politiken, Berlin/online (10.11. – 11.11.22)
Eine Veranstaltung des Projekts »Konzepte und Praktiken digitaler Autorschaft«, EXC 2020 Temporal Communities, Freie Universität Berlin
Planung und Organisation: Michael Gamper, Paul Wolff
Unter den medialen Bedingungen des digitalen Zeitalters rücken Autor und Autorin auf neue Weise in den Fokus der literarischen Öffentlichkeit. Die Sozialen Medien haben neue Räume zur Inszenierung von Autor:innenschaft eröffnet sowie autofiktionale Schreibweisen begünstigt, die sich u.a. durch Authentizitätsmarker und intime Einblicke dezidiert auf die Person ihrer Urheber:innen beziehen. Überdies hat die pandemiebedingte Verlegung von Lesungen, Festivals und Podiumsgesprächen in Livestreams, Zoom-Konferenzen und auf digitale Plattformen wie YouTube und Twitch Autor:innen zuletzt mit neuen Möglichkeiten und Anforderungen konfrontiert, sich und ihre Literatur zu präsentieren. Stimme, Körper und Habitus und deren Verortung im Spektrum von race, class, gender und ableness werden dabei nicht getilgt, wie in der Anfangszeit des Internets häufig angenommen, sondern digital remediatisiert und auf vielfältige Weise in die Konstruktion von Autor:innenpersonae einbezogen. Wollen sie erfolgreich sein, müssen Autor:innen mithin zunehmend auch (sich selbst) performen.
Mit der Abkehr vom Buch als exklusivem Publikationsmedium von Literatur zugunsten diverser, zeitlich ausgedehnter Veröffentlichungspraktiken, wie sie in den Sozialen Medien auftreten, wird schließlich auch die traditionelle Abgrenzung von Text, Paratext und Performance sowie zwischen inner- und außerliterarischer Autor:inneninszenierung durchlässig. Im kontinuierlichen Posten auf Instagram, Twitter und Facebook verschmelzen mitunter nicht nur »Schreiben, Lesen und Publizieren« (Christiane Frohmann), sondern auch Werk und Autor:in. Beide werden Teil einer fortwährenden Performance, die unablässig neue Versionen von Werk und öffentlicher Persona hervorbringt. Insbesondere auf der Plattform Instagram erlangten Autor:innen wie Rupi Kaur durch Adaption typischer Influencer-Strategien gar den Status von »Internet Celebrities« (Crystal Abidin), deren Personae i.d.R. mindestens genauso viel Aufmerksamkeit erfahren wie ihr Werk. Besondere Beachtung verdient dabei freilich, dass Texte aus solchen dynamischen, performativen Kontexten nachträglich oft dennoch als Buch publiziert und gleichsam in Werkform stillgestellt werden, wobei Verlage wie Frohmann oder mikrotext einen erheblichen Anteil an der Überführung von digitaler in traditionelle Buch-Autor:innenschaft haben.
Performanz verstehen wir in diesen Zusammenhängen nicht als singulären, intentionalen Akt, der sich auf ein souveränes Subjekt zurückführen ließe. Es geht vielmehr um iterierbare Praktiken, die in institutionelle, diskursive und technische Rahmenbedingungen eingebettet sind. Als kulturell codierte Performance unterliegt digitale Autor:innenschaft immer auch den Performanzen ubiquitärer digitaler Infrastrukturen, Algorithmen und Devices, die menschliches Handeln beeinflussen und ermöglichen, aber auch spezifischen Restriktionen unterwerfen (vgl. Leeker, Performing the Digital). Dies betrifft nicht zuletzt die medialen Subjektivierungsbedingungen der digitalisierten Gesellschaft und die entsprechenden Entwürfe und Konfigurationen der »Subjektform Autor« (Koyra).
Während die von Bourdieu ausgehende Forschung zur Autorinszenierung Autor:innen überwiegend in ökonomischen Kontexten verortete, also in einem Wettkampf um Aufmerksamkeit und kulturelles Kapital, fokussiert unser Workshop zudem politische Implikationen und Funktionen digitaler Autor:innenschaft. Neben identitätspolitischen Fragen der Repräsentation (»Wer spricht?«) interessieren uns dabei auch die politischen Praktiken digitaler Autor:innenschaft wie u.a. 1. die Etablierung und Ausübung klassischer Konzepte von personengebundener Autorität und auktorialem Charisma auf digitalen Plattformen, aber auch 2. Verfahren namentlicher Invisibilisierung, auktorialer Unkenntlichmachung und Pseudonymisierung, mittels derer sich Forderungen nach Verantwortung und Rechenschaftspflicht, aber auch Stigmatisierung und Diskriminierung von gesellschaftlichen Minoritäten umgehen lassen, sowie 3. Verfahren der Kollektivierung, die eine Zurechenbarkeit individueller Autorschaft zwar unterlaufen, meist aber gleichwohl spezifischen Strategien der Inszenierung unterliegen. Der Workshop fragt mithin ebenso nach Strategien auktorialer Singularisierung und Distinktion wie nach Prozessen der Kollektivierung und der Gemeinschaftsbildung. Anhand konkreter Fallstudien sollen sowohl die Erzeugung von Sichtbarkeit für Autor:innen als auch diverse Strategien der Kritik, des Entzugs und der »non-performance« (Legacy Russel) thematisiert werden.
Programm
Donnerstag, 10.11.:
10:00: Michael Gamper, Paul Wolff (Freie Universität Berlin): Begrüßung und Einführung
Ökonomien digitaler Autor:innenschaft
10:30: Matthias Schaffrick (Universität Siegen): Performanzen eines Schelmen. Zu Rafael Horzons Instagram-Account
11:30: Kevin Kempke (Universität Stuttgart): Geförderte Originalitäten. (Anti-)Institutionalität und Autofiktion in digitaler Autor:innenschaft
12:30: Mittagspause
Publizieren/Performen
13:30: Madeleine Span (Universität für angewandte Kunst Wien): Wer ist digitale Autor*in und wie? Befunde zum aktuellen deutschsprachigen Self-Publishing
14:30: Elias Kreuzmair (Universität Greifswald): Rhythmen digitaler Autor:innenschaft. Zum Publizieren auf Sozialen Netzwerken
15:30: Kaffeepause
Lese- und Schreibperformances
16:00: Lena Hintze (Freie Universität Berlin): Lesungen live und für immer. Einige Beobachtungen zur Darstellung von Autor:innenschaft beim Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis
17:00: Paul Wolff (Freie Universität Berlin): »Healing Through Words«. Medienrituale und Schreibperformances der Instapoetry
18:00: Pause
20:00: Abendveranstaltung: Posten und Schreiben
Nadire Biskin und Benjamin Maack im Gespräch mit Doris Akrap
Freitag, 11.11.:
Politiken digitaler Autor:innenschaft
10:00: Robert Walter-Jochum (Freie Universität Berlin): Politische Autor:innenschaft auf und mit Twitter: Identitätspolitik, körperliche Integrität und Meinungsfreiheit in der Debatte um die Autorin Jasmina Kuhnke, ihren Twitter-Account und ihren Roman Schwarzes Herz
11:00: Matthias Berning (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen): Naturalism, Activism, Autism – oder: Die Kornweihe, Greta, David Attenborough und ich: Dara McAnulty und seine Lebenswelt im Blog, auf Twitter und im Buch Diary of a young naturalist
12:00: Mittagspause
13:00: Sven Lüder (University of Oxford): Elfriede Jelineks digitale Autorschaft. Eine Fallstudie zu Neid (2007/2008)
Inszenierte Intimität
14:00: Jenifer Becker (Literaturinstitut Hildesheim): WHEN I TYPE ABOUT SOMETHING THAT FEELS SHITTY TO ME. Megan Boyles radikal-autobiografischer Liveblog und die Politiken des Female Digital Oversharing in postfeministischen Zeiten
15:00: Pause
15:30: Marcella Fassio (Freie Universität Berlin): Intimes Schreiben? – Autobiografische Depressionsnarrationen in Social Media
16:30: Tanja Prokić (Ludwig-Maximilians-Universität München): Intimität als Kapital. Literarische Selbst-Präsentation im digitalen Raum
17:30: Schlussdiskussion
Zeit und Ort
10.–11.11.2022
Literaturforum im Brecht-Haus
Chausseestraße 125, 10115 Berlin
Die Veranstaltung findet in deutscher Sprache statt. Die Teilnahme ist vor Ort sowie digital über die Website des Literaturforums im Brecht-Haus möglich.
Kontakt: Paul Wolff, paul.wolff@fu-berlin.de
Redaktion: Constanze Baum – Lukas Büsse – Mark-Georg Dehrmann – Nils Gelker – Markus Malo – Alexander Nebrig – Johannes Schmidt
Diese Ankündigung wurde von H-GERMANISTIK [Nils Gelker] betreut – editorial-germanistik@mail.h-net.msu.edu
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