CFP: IVG-Kongress, Graz 2025, Sektion: Literatur auf der Kinoleinwand zu Krisenzeiten
CFP: IVG-Kongress, Graz 2025, Sektion: Literatur auf der Kinoleinwand zu Krisenzeiten
Leitung der Sektion: Karina von Lindeiner-Stráský (Milton Keynes), Stefan Neuhaus (Koblenz), Christiane Schönfeld (Limerick)
Literarische Longseller sind oft mehrfach verfilmt worden, aber auch literarische Texte, die eher als trivial gelten, haben es auf die Leinwand geschafft, manchmal ist aus ihnen ein vielbeachtetes Filmkunstwerk geworden. Literatur im Kino ist beinahe so alt wie der Film selbst und gerade in den Krisenzeiten des 20. Jahrhunderts ist der literarischen Vorlage durch ihre massenmediale Adaption eine besondere Bedeutung sowohl in der Produktions- als auch in der Rezeptionsgeschichte zugekommen. Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu" (1922) beispielsweise, eine freie Adaption von Bram Stokers "Dracula" (und ein berüchtigter Plagiatsfall), verarbeitet Eindrücke des Ersten Weltkriegs und wirft seinen Schatten auf die Entwicklung einer neuen totalitären Gesellschaft auf deutschem Boden voraus. Siegfried Kracauer hat Filme der krisenhaften Zeit vor Hitler als prognostisch begriffen ("Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films", 1947), wobei er die Bedeutung der Literatur im Kino im Allgemeinen und der deutschsprachigen Literaturverfilmung im Besonderen, die immer wieder die Gesellschaft im Umbruch begleitet hat, weit weniger thematisiert hat. Schon vor dem Ersten Weltkrieg sah Joseph Roth das Potential des Kinos auch im Sinne einer zivilisatorischen, kultivierenden Anstalt. Seine Referenzen auf Schillers Antrittsrede vor der Deutschen Gesellschaft weisen auf das Kino als potenzielles Instrument der Aufklärung hin, dessen gesellschaftspolitische Bedeutung für zahlreiche Kulturschaffende der Zeit außer Frage stand. Roths Hinweis auf Schiller und so auf die Wirkungsfähigkeit eines Kinos, das einem bürgerlichen Bildungsideal zu entsprechen sucht, führte jedoch wiederum zu ästhetischen Bedenken unter den Intellektuellen der Weimarer Republik. Im Hitler-Deutschland wurden Literatur und Film zu Propagandazwecken instrumentalisiert und bedienten Führerkult sowie NS-Ideologie. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte gerade der Kanon der deutschsprachigen Literatur im Kino für die Festschreibung eines nationalen Kulturerbes eine bedeutende Rolle, nicht zuletzt in Prozessen gelenkter Krisenverarbeitung auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze sowie in Österreich und der Schweiz. Bis heute werden auch über Neuverfilmungen – von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" (2020), Erich Kästners "Fabian" (2021) oder Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" (2022) – gesellschaftspolitische Entwicklungen reflektiert, verhandelt und literarische Vorlagen auf zeitgenössische Krisen (oder Zutstände) umgedeutet.
Filmische Adaptionen literarischer Texte sind in ihrer Geschichte immer wieder auch als Reaktion auf Krisen zu begreifen. Dabei geht es meist auch darum, kritische Diskurse zu prägen – etwa, wenn es um die Marginalisierung von Individuen oder Gruppen geht, um heroische Maskulinität oder Wiederbewaffnung, um die Be- und Verarbeitung von Vergangenheit und politischer Gegenwart, im neoliberalen, postkapitalistischen „Zutaten-Kino“ (Georg Seeßlen), im Autorenkino sowie in kommerziellen Produktionen von Streaming-Diensten.
Das Anliegen der Sektion ist es, Adaptationspraktiken im Kontext ihrer Zeitgenossenschaft zu analysieren und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Krisen auf der Kinoleinwand zu reflektieren.
Vortragsvorschläge (abstracts von max. 2.000 Zeichen/300 Worte) bitte bis zum 30. November 2022 an die Sektionsleiter:innen:
Dr. Karina von Lindeiner-Stráský, karina.von-lindeiner-strasky@open.ac.uk
Prof. Dr. Dr. Stefan Neuhaus, neuhaus@uni-koblenz.de
Prof. Dr. Christiane Schönfeld, christiane.schonfeld@mic.ul.ie
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Redaktion: Constanze Baum – Lukas Büsse – Mark-Georg Dehrmann – Nils Gelker – Markus Malo – Alexander Nebrig – Johannes Schmidt
Diese Ankündigung wurde von H-GERMANISTIK [Constanze Baum] betreut – editorial-germanistik@mail.h-net.msu.edu
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