CFP: XV. IVG-Kongress 2025: Wasser-Land: Diskursive Konstellationen von Gegensätzen, Übergängen und Zwischen-Räumen, Graz (30.11.2022)

Katrin Dautel Discussion

XV. Kongress der Internationalen Vereinigung für Germanistik Sprache und Literatur in Krisenzeiten” in Graz vom 20. bis 27. Juli 2025

Call for Papers: Wasser-Land: Diskursive Konstellationen von Gegensätzen, Übergängen und Zwischen-Räumen

Sektionsleitung: Katrin Dautel (University of Malta), Kathrin Schödel (University of Malta), Thomas Schwarz (Nihon University Tokyo), Tomislav Zelić (Universität Zadar)

Der Gegensatz zwischen Wasser und Land prägt auf vielfältige Weise Beschreibungsmuster, Metaphern und Diskurse. Er verbindet sich mit anderen zentralen Begriffsoppositionen wie flüssig und fest, außen und innen, Chaos und Ordnung, Natur und Kultur, weiblich und männlich. Wasser steht dabei häufig für das Andere, das Ungeordnete, Entgrenzte in positivem wie negativem Sinn. In Komposita wie ‚Flüchtlingswelle‘ oder ‚Flüchtlingsstrom‘ wird es zum Bild einer anonymen, als fremd konstruierten Masse. Land symbolisiert im Gegensatz dazu dann das Eigene, Eingehegte und Begrenzte, ist Symbol für Privateigentum, Nation und territoriale ‘Verwurzelung’. Die geplante Sektion möchte die Problematik solcher dichotomischen Konstruktionen und metaphorischen Zuschreibungen in den Blick nehmen und Formen ihrer kritischen Reflexion und Durchbrechung, Ambivalenzen und krisenhafte Zuspitzungen in Sprache und Literatur erkunden. Begrüßt werden Beiträge aus allen Bereichen der Germanistik: Literatur-, Kultur- und Sprachwissenschaft sowie methodisch- didaktische und sprachpolitische Ansätze.

Eine zentrale Opposition ist die von Land und Meer. Mehr als 70 Prozent der Fläche unseres Planeten sind von Meerwasser bedeckt. Vordergründig trennt es Kontinente, Inseln und Archipele voneinander, doch in erster Linie ermöglicht es ihre Vernetzung durch transkulturelle Verbindungslinien. In die Faszination, die vom Meer ausgeht, mischen sich Vorstellungen von Unbezwingbarkeit mit der Furcht vor einem gewaltsamen Übergreifen seiner Wellen auf das Land, in Form von Springfluten und Tsunamis. Das Meer inspiriert eine Vielzahl an Werken in Literatur, bildender Kunst und Film.1 Nach dem Vorbild des Historikers Fernand Braudel, der das maritime Verkehrsnetz der mediterranen Welt rekonstruiert hat, lassen sich Meere als translokale Verbindungsräume begreifen (Braudel 2013, Meer, 57). Der mediterrane Raum ist ein exemplarischer Schwellenraum zwischen Meer, Küsten, Bergland und Sahara – ein paradigmatisches „Wasser-Land“. Kulturhistorisch ist er zudem durch ein urbanes Netz von Hafenstädten geprägt (Aymard 2013, 122, 126). In diesem Netzwerk erscheinen Gegensätze und Widersprüche zwischen Ökonomie und Ökologie, Macht, Gesetz und Anarchie, Authentizität und Ironie, Transhumance, Nomadentum, Flucht und Grenzregime besonders deutlich. Zugleich sind Interkulturalität bzw. Transkulturalität im Mittelmeerraum eine selbst- verständliche Rahmenbedingung für jedwede diskursive Konstellation. Die Reichtümer, die über das Mittelmeer transportiert wurden, nährten jedoch seit der Antike auch den kolonialis- tischen und imperialistischen „Traum, das ganze Meer zu beherrschen“ (Braudel 2013, Land, 14). Daher ist der Mittelmeerraum als Schauplatz und Ausgangspunkt von Krisen und Katastrophen exemplarisch und paradigmatisch für die Erforschung von (Post)kolonialismus und (Post)imperialismus sowie Inter- und Transkontinentalität (Lützeler 2013). Vor dem Hintergrund der europäischen Kolonisierung überseeischer Gebiete möchte unsere Sektion auch eine postkoloniale Kritik dieses gewaltsamen Prozesses und seiner Aufarbeitung in verschiedenen medialen Ausdrucksformen leisten. Aus raumtheoretischer Perspektive gilt das Meer im Anschluss an Gilles Deleuze und Felix Guattari als „glatter Raum“ schlechthin (Deleuze/Guattari 1980, 450). Vor allem im Zusammenhang mit der europäischen Expansion über die Welt wurde dieser Raum vermessen, mit Längen- und Breitengraden überzogen, in koloniale Einflusssphären aufgeteilt, gekerbt und zunehmend mit Trennlinien territorialisiert. Nicht nur das Land, sondern auch das Meer wurde in einen Kriegsschauplatz verwandelt, heute wird es zudem mit Plastikmüll und Abwasser verschmutzt und radioaktiv verseucht.

Literarische Darstellungen von Zwischenräumen an der Schnittstelle von Land und Gewässern wie dem Meer, aber auch die Ufer von Seen, Flüssen, Teichen und Quellen sind vielfältig semantisch aufgeladen. Als Schwellenräume zwischen dem Festen und dem Flüssigen repräsentieren sie als „watery places“ (Dawson 2013, 16) den Übergang zwischen realen und mythischen Welten, zwischen dem als männlich und weiblich Kodierten, und sind Lebensräume von Wesen zwischen Mensch und Tier. Küsten, Uferlinien oder Strände können als Grenzen oder Abschluss aufgefasst werden, jedoch auch als Neubeginn und Räume des Werdens (Dünne 2013, 226). Als Gebiete zwischen den Elementen sind sie Orte der Neuverhandlung und Destabilisierung fester Kategorien. Räume der Überflutung, schmelzendes Eis, versinkendes Land oder regendurchtränkte Erde sind jedoch auch Orte der Krise und der Dystopie, die in jüngsten literarischen Verarbeitungen des Klimawandels in den Fokus rücken. Die Analyse dieser – auch oftmals als randständig aufgefassten – Räume des Übergangs sollen ebenfalls im Fokus dieser Sektion stehen. Dabei werden besonders Analysen von literarischen Verarbeitungen von Räumen der Krise, ökokritische und kulturökologische Ansätze begrüßt.

Teilnahme:

Bitte senden Sie Ihr Abstract (ca. 200-300 Wörter) zusammen mit einer Kurzbiographie bis spätestens zum 30. November 2022 an katrin.dautel@um.edu.mt, kathrin.schoedel@um.edu.mtthomschwarz@yahoo.de und tzelic75@gmail.com. Sie werden bis Mitte Dezember benachrichtigt, ob Ihr Vorschlag angenommen wurde. Bitte denken Sie daran, dass für die Teilnahme am Kongress eine aktive IVG-Mitgliedschaft Voraussetzung ist.

Eine Publikation der Beiträge ist geplant.

Die Beiträge können folgende Themenbereiche umfassen, sind jedoch nicht darauf beschränkt:

  • Wasser-Land Metaphern und ihre diskursiven Kontexte

  • Meere als translokale Verbindungsräume

  • Interkulturalität und Transkulturalität im Mittelmeerraum

  • Der mediterrane Raum als paradigmatisches ‘Wasser-Land’

  • Das Meer als (post)kolonialer und (post)imperialer Raum

  • Raumtheoretische Perspektiven auf den Gegensatz von Wasser und Land

  • Konfigurationen von Schwellen- und Übergangsräumen zwischen Wasser und Land

  • Wasser-Land-Räume als Orte der Krise

  • Wasser-Land in literarischen Verarbeitungen des Klimawandels

  • Ökokritische und kulturökologische Lesarten von Wasser und Land

 

Zitierte Literatur:

Aymard, Maurice (2013): Lebensräume. In: Braudel, Fernand/Duby, Georges/Aymard, Maurice: Die Welt des Mittelmeers. Zur Geschichte und Geographie kultureller Lebensformen. Frankfurt a. M.: Fischer, S. 119-144.

Braudel, Fernand (2013): Das Land. In: Braudel et al, S. 11-34. Braudel, Fernand (2013): Das Meer. In: Braudel et al, S. 35–60.

Dawson, Helen (2015): Deciphering the elements: Cultural meanings of water in an island setting. Accordia Research Papers 14, S. 13-26.

Deleuze, Gilles / Félix Guattari (1980): Mille plateaux. Capitalisme et schizophrénie. Bd. 2, Paris: Éditions de Minuit.

Dünne, Jörg (2013): Vom Fluss ohne Ufer zum Swimmingpool. Flüssige Räume bei Juan José Saer. In: Romanische Forschungen 125 (2), S. 226-238.

Lützeler, Paul Michael (2013): Transatlantische Germanistik. Kontakt - Transfer - Dialogik. Berlin: De Gruyter.

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1 Vgl. dazu auch die aktuellen Themenhefte zweier Zeitschriften:
- Das Meer als Raum transkultureller Erinnerungen. Hg. von Irina Gradinari und Elisa Müller-Adams. Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 11/2, 2020.
- Die Gewalt und das Meer. Hg. von Mario Gizelj. Zagreber Germanistische Beiträge 30, 2021.