Ulla Hahn debütierte 1981 mit dem Lyrikband Herz über Kopf. Das enthusiastische Lob des Starkritikers Marcel Reich-Ranicki erwies sich für sie als zweischneidiges Schwert. Während auch ihre weiteren Lyrikbände – allein noch im selben Jahrzehnt waren das Spielende (1983), Freudenfeuer (1985) und Unerhörte Nähe (1988) – ein begeistertes Publikum und auch ebensolche Kritik fanden, gab es nicht wenige Anfeindungen, die den Stil der Gedichte für epigonal erklärten. Während man Lyrikern wie Robert Gernhardt die Rückkehr zu Reim und metrischer Struktur wegen der besonderen Komik der Texte nachsah, sollten sich Hahns Gedichte durch unangemessenes Pathos auszeichnen. Dabei war die Auseinandersetzung nicht zuletzt ein Machtkampf im literarischen Feld um Positionen und Positionierungen, die Reich-Ranickis Lob als willkommenen Anlass begriff. Hahn hat ihren eigenständigen Weg als Lyrikerin indes weiter beschritten, zuletzt erschien stille trommeln. Neue Gedichte aus zwanzig Jahren (2021).
Auch wenn Ulla Hahn zu den bekanntesten deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwart zählt, als Lyrikerin wie – vor allem seit Das verborgene Wort von 2001 – auch als Romanautorin, ist ihr Werk, wohl auch wegen der immer wieder im Feuilleton geäußerten Kritik, von der Literaturwissenschaft nicht annähernd so wahrgenommen und untersucht worden wie das anderer, vergleichsweise berühmter Schriftstellerkolleg*innen. Ihre Joseph-Breitbach-Poetikdozentur 2022 in Koblenz ist ein willkommener Anlass, dem ein Stück weit abzuhelfen. In einem Sammelband, der Hahns Lyrik in den Mittelpunkt stellt, soll den folgenden Fragen nachgegangen werden:
Was sind zentrale Aspekte ihrer Poetik?
Wie lassen sich die anspielungsreichen und hochgradig intertextuellen, oft selbstreferentiellen, teils poetologischen und metafiktionalen lyrischen Texte beispielhaft interpretieren?
Weshalb sind die Gedichte Gegenstand von Machtkämpfen im literarischen Feld (Pierre Bourdieu) oder Diskurs (Michel Foucault) geworden?
Welche Bedeutung hat die weibliche Autorschaft für ihr Werk – und für die angesprochenen Positionierungen in der Kritik?
Welche Geschlechterrollen werden im Werk inszeniert und zugleich durchkreuzt, also als kulturelle Konstruktion (Judith Butler) entlarvt?
Das sind nur einige Beispiele für Fragen, die in den Beiträgen gestellt und diskutiert werden können.
Der Sammelband wird 2023 im Tectum-Verlag Baden-Baden veröffentlicht.
Vorschläge (mit Beitragstitel, kurzem Abstract von 10-20 Zeilen und möglichst vollständigen Kontaktdaten) richten Sie bitte bis zum 31. Mai 2022 an: Prof. Dr. Dr. Stefan Neuhaus, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz, neuhaus@uni-koblenz.de.
Redaktion: Constanze Baum – Lukas Büsse – Mark-Georg Dehrmann – Nils Gelker – Markus Malo – Alexander Nebrig – Johannes Schmidt
Diese Ankündigung wurde von H-GERMANISTIK [Johannes Schmidt] betreut – editorial-germanistik@mail.h-net.msu.edu
0 Replies