Call for Papers für Deutsche Chronik Band 66 (2023) (www. deutschechronik.nl)
Verlorn ist das sluzzelîn
Produktive Rezeption mittelalterlicher Werke im 21. Jahrhundert
Befragt zur Entstehung ihres jüngsten Romans Die Nibelungen. Ein Stummfilm (2021), was sie an dieser Arbeit reize, weist Felicitas Hoppe darauf hin, dass in unserer Welt nichts gesichert sei und führt weiter aus: „Was könnte da nützlicher und ergiebiger sein, als ein paar Schritte zurückzugehen und nach der Langzeitwirkung vermeintlich deutscher Mythen zu fragen, die das Sprechen über uns selbst bis heute unterschwellig grundieren?“ Selbstverständlich haben auch die alten Erzählungen selber die Zeit nicht unverändert überdauert – und gerade hierin sieht Hoppe ihre Aufgabe: „Altes muss neu erzählt und anders gestaltet werden. Darüber nachzudenken, das umzusetzen, ist nicht nur aus künstlerischer, sondern auch aus politischer Sicht eine Herausforderung.”[1]
Während es hier um eine Autor*innensicht geht, die den Inhalt des Narrativs betrifft, richtet sich unser Blick besonders auf das Publikum. In welcher Weise kann dieses an Auseinandersetzungen mit einer alten Texttradition beteiligt werden? Schließlich wird allenthalben beklagt, dass Parzival, Iwein & Co. bestenfalls noch als buchstäbliche Titel-Helden im kollektiven Gedächtnis vorkommen. Zugleich werden diese und weniger bekannte Werke kontinuierlich in modernen Bearbeitungen vorgelegt beziehungsweise wird an sie referiert, man denke etwa an Lukas Bärfuss’ tragikomisches Stationendrama Parzival (2010), Herbert Rosendorfers Hörspiel Brängäne oder Die Hochzeitsnacht in Stellvertretung (2006), Ulrike Draesners Lyrikzyklus Nibelungen. Heimsuchung (2016) oder – in der niederländischen Literatur – Harry Mulisch‘ Siegfried (2001).
Wir laden ein, moderne Bearbeitungen alter Texte im Hinblick auf die angesprochenen Schlagwörter der 'Langzeitwirkung' und 'Auseinandersetzung' zu betrachten:
- Worin liegt die Langzeitwirkung, wenn das heutige Werk auf eine jahrhundertealte Narration rekurriert?
- Konkreter soll auch die intertextuelle bzw. intermediale Frage aufgeworfen werden: Inwiefern kann die genauere Kenntnis eines oder mehrerer alter Bezugstexte tatsächlich neue oder andere Verständnisebenen erschließen? Oder lässt diese Kenntnis die heutigen Lesarten eher unberührt, ja, stört sie gar? Regen die modernen Bearbeitungen zur Auseinandersetzung mit der Erzähltradition und dem, was uns „unterschwellig grundiert“, an?
- Fordern die modernen Adaptionen zur historischen Perspektivierung dessen, was uns normal erscheint oder vielmehr befremdet, heraus?
- Im Sinne eines intertextuellen und -medialen Dialogs kann selbstverständlich auch in die andere Richtung gefragt werden, nämlich in die der alten Vorgängertexte: Eröffnet die heutige produktive Rezeption möglicherweise neue Verstehenshorizonte für die alte Textüberlieferung?
Im Mittelpunkt der für 2023 vorgesehenen Ausgabe der Deutschen Chronik sollen Artefakte des 21. Jahrhunderts stehen, die in den Bereich der oben skizzierten produktiven Rezeption fallen. Dabei handelt es sich um Arbeiten, die ausgehend von konkreten Bezugstexten bis 1600 als eigenständige, zeitgenössische Kunstwerke – jeglicher Art und jeglichen Mediums - entstanden sind. Wobei die Sprache der zeitgenössischen Rezeptionsprodukte nicht unbedingt Deutsch sein muss.
Disziplinübergreifend möchten wir sowohl Beitragende aus den Neueren als auch aus den Älteren Kulturwissenschaften gewinnen. Idealiter widmen sich jeweils zwei Wissenschaftler*innen dem kontemporären Werk einerseits und dessen Bezugstext andererseits. Wir hoffen hiermit zugleich spannende und fruchtbare Arbeitsgemeinschaften zu stimulieren. Dabei steht es den Beitragenden frei, ihre Ergebnisse in einem gemeinsamen oder jeweils separaten Aufsatz einzureichen.
Themenvorschlägen von ca. 300 Wörtern sehen wir gerne bis zum 01. Mai 2022 entgegen. Die Rückmeldung erfolgt bis zum 01. Juni dieses Jahres. Anschriften der Redaktion:dr. Elisabeth Meyer (Amsterdam) e.meyer@uva.nl und Jaap van Vreedendaal (Utrecht) J.vanVredendaal@uu.nl.
Vollständige Beiträge im Umfang von 30.000 bis 50.000 Satzzeichen (ohne Leerzeichen und Abbildungen, mit Fußnoten) mit einer kurzen Biographie der Verfasser*innen werden bis zum 31. Dezember 2022 erbeten.
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Redaktion: Constanze Baum – Lukas Büsse – Mark-Georg Dehrmann – Nils Gelker – Markus Malo – Alexander Nebrig – Johannes Schmidt
Diese Ankündigung wurde von H-GERMANISTIK [Constanze Baum] betreut – editorial-germanistik@mail.h-net.msu.edu
Deutsche Chronik (www.deutschechronik.nl) ist eine interdisziplinäre wissenschaftliche Zeitschrift, die peer-reviewed herausgegeben wird. DC besitzt eine besondere Nähe zur niederländischen Germanistik, richtet sich aber, außer auf die deutsch-niederländischen Kulturbeziehungen, ebenso auf die transkulturellen Beziehungen in Europa im Allgemeinen. DC ist an ein internationales Fachpublikum und an interessierte Laien adressiert und veröffentlicht Aufsätze und Beiträge in deutscher Sprache.
[1] Dorothee Lossin: Schätze heben - Fünf Fragen an Felicitas Hoppe, 28. Januar 2020. https://www.wirgewinnt.blog/interview-fuenf-fragen-an-felicitas-hoppe/ (23.01.2022)
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